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aschoeller
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  RE: Geschieden! Datum:26.12.19 16:11 IP: gespeichert Moderator melden


Kapitel 7

Nach Monaten des Schweigens konnten wir wieder sachlich rein beruflich miteinander umgehen. Verziehen hatte ich ihm nicht und er hatte sich auch nicht entschuldigt. Stattdessen eher sehr zurück gezogen. Er wirkte verstört, ahnungslos und……. Traurig. Es schien fast so, als ob jegliche Freude von ihm gefallen wäre. Fast so wie bei einem gewissen Tim Thaler, der einst das Lachen verlernt hatte. Ich selbst dachte oft an das erlebte und träumte auch davon. Keineswegs waren es Alpträume, eher….. geile feuchte Träume. Träume in denen ich fremdbestimmt und untergeben war, genau das was ich in Paris erlebt hatte. Natürlich hatte ich nichts von meinen Sachen damals verbrannt. Nur ganz tief im Schrank vergraben. Tief und dennoch ein wenig sichtbar. Als Mahnmal sozusagen, oder als Erinnerung an besser Zeiten.

Mir fehlte eine zärtliche Person an meiner Seite, ein Mann, ein Michael vielleicht! Im Laufe der Zeit steigerte ich mich immer weiter hinein. Der Vorfall jährte sich bald. Michael wurde hingegen immer depressiver. Einige seiner Kollegen machten sich bereits Sorgen um ihn. Er hatte nichts, kein einziges Wort über Paris verraten. Nicht mal das wir gemeinsam dort hingefahren sind, nicht mal das.
Niemand kam deshalb zu mir um zu sagen: hey kümmert dich mal um den Kollegen, schließlich hast du ja schon ein Wochenende mit ihm verbracht. Niemand sagte das zu mir, niemand wusste es und er hatte es keinen gesagt! Ich sollte, nein ich wollte mit ihm reden. Das Jahresende nahte und es ergab sich einfach nicht.

7.Januar, gleich heute am ersten Arbeitstag des neuen Jahres werde ich zu Michael gehen! Freundlich grüßte ich unseren Pförtner, ähm ich meine natürlich unseren Sicherheitschef!
„Haben sie es schon gehört? Der Herr Bader hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus, Intensivstation und so!“ Brabbelte er durch seinen Bart. Mein Blick weitete sich, mein Puls raste, der Schweiß stand auf meiner Stirn. Wie in Trance fuhr ich in meine Abteilung. Das war oben schon Gesprächsthema Nummer 1. Einige sprachen von Suizid, andere von einem Schlaganfall. Mit Mitte 30, kaum zu glauben. Ich gab mich betroffen, neutral betroffen! Lechzte aber nach jeder noch so kleinen Information. Der Tag war gelaufen, ich brachte nichts mehr zu Stande. Ständig dachte ich an Michi und wie es ihm wohl ging. Eine Sammelaktion machte die Runde. Für Blumen und so. Alle beteiligten sich rege und auf der Glückwunschkarte war kaum noch Platz. Ich drängte mich geradezu auf ins Krankenhaus zu fahren um ihm unser aller Genesungswünsche zu übermitteln. Die Personalabteilung gab widerwillig die Daten bezüglich seiner Unterbringung heraus. RdI, also rechts der Isar, ein Universitätskrankenhaus, keine 15 Minuten entfernt. Ich fuhr nach Dienstschluss hin. Michael hatte beide Arme und das Becken gebrochen. Muss wohl beim Fenster putzen gestürzt sein, mutmaßte eine Krankenschwester. Er lag in einem schmucklosen Einzelzimmer. Er war nicht bei Bewusstsein! „Sprechen sie ruhig mit ihm. Manchen Patienten hilft das!“ Ermutigte mich die Schwester und brachte eine Vase.

Ich hielt mir die Hand entsetzt vor den Mund. Michi lag ruhig atmend einfach nur da. Überall waren Schläuche und Kabel. Gerade als ich mich setzen wollte, wurde es untypisch für ein Krankenhaus sehr laut. Eine aufgedonnerte Frau kam in Begleitung mehrerer Ärzte in Zimmer und erklärte: „Dieser Schlappen hat mich damals verlassen, nur weil ich ihn ein, zweimal betrogen habe. Und jetzt soll ich ihm den Hintern abputzen? Nee Leute, keine Chance. Wir sind geschieden, von mir aus verreckt er hier!“

Ich schämte mich Fremd! Von Der hätte ich mich auch scheiden lassen. Als wieder etwas Ruhe eingekehrt war, setzte ich mich zu ihm und verbrachte dort viele Stunden bis seine Mutter zu Besuch kam. Natürlich wollte ich gehen, sie aber bat mich zu bleiben. Von ihr erfuhr ich, dass er aus dem zweiten Stock gestürzt war. Es gab aber keine Anzeichen dass er sich absichtlich das Leben nehmen wollte. Sie vermutete vielmehr einen tragischen Unfall. Genau wusste sie es aber auch nicht.
Die nächsten Tage und Wochen trafen wir uns immer wieder. Er war stabil und außer Lebensgefahr, aber noch nicht wach. Die Ärzte wussten nicht, ob und wann er wieder erwachen würde. Seine Mutter kümmerte sich aufopfernd um ihn, erzählte ihm täglich die neuesten Nachrichten. Ich, mittlerweile Spezialistin für Koma-Patienten massiert ihm die Reflexzonen und half bei Rasur und Pflege seiner Haare. Bald waren wir ein eingespieltes Paar und sehr vertraut miteinander.

Längst ahnte Ruth, dass ich mehr als nur eine Kollegin war. Dennoch verschwiegen ich, dass unter Umständen ich für den Zustand ihres Sohnes zumindest ein kleines bisschen verantwortlich war. Im Büro musste es weitergehen. Das brachte es mit sich, dass wir wichtige Dateien von Michaels Laptop benötigten. Alles amtliche war zwar auf dem Server, aber vorbereitende Daten hatte er üblicherweise nur auf dem Rechner. Da dieser aber streng genommen Privat war, brauchten wir dafür die Erlaubnis seiner Mutter. Sie übergab mir den Computern zu treuen Händen. Schnell fanden wir die gesuchten Daten. Mit dem Ding hätte Adrian Monk seine helle Freude gehabt. Der war ja mal extrem aufgeräumt! Nur eine einzige Datei tanzte aus der Reihe: La Villette! Könnte das sein? Sofort googelt ich La Villette, es war kein Name sondern ein Viertel in Paris. Ein modernes Viertel mit einem riesigen Bogen den man auch Arch, gesprochen Arsch nannte. Dahin wollten wir damals gehen. Sollte hinter dieser Datei die Wahrheit stecken? Würde sie alles erklären?

Ob Koma-Patient oder nicht, auf keinen Fall kann ich hier Vertrauen Missbrauchen. Im umgekehrten Fall würde ich das nie gutheißen, nie verstehen und nie verzeihen. Automatisch schlug ich dabei den Laptop zu und schüttelte zum Selbstverständnis den Kopf. Mahnend blinkte eine gelbleuchtende Diode: Öffne mich, öffne mich, öffne mich! Mein Problem, ich meine, das Problem war, ich konnte nicht lügen, war ein lausiger Pokerspieler. Wenn Michael jemals wieder erwachen sollte, ich könnte ihn unmöglich unter die Augen treten. Er würde sofort herausfinden das ich „Dreck am Stecken“ hatte. Abgesehen davon habe ich mich mit Ruth sehr gut angefreundet. Auch seine Mutter wollte ich nicht enttäuschen. Unter keinen Umständen.

Irgendwann im April war Michael aus therapiert und sollte in eine Pflegeeinrichtung verlegt werden. Ruth war darüber sehr traurig und Niedergeschlagen. Das konnte ich ihr auch nicht verdenken. Mir ging es ja genauso. Wie so oft die letzten Monate besorgte Ruth Pizza vom nahen Italiener. Ich war mit Michi alleine im Zimmer. Friedlich lag er da, surreal aber Friedlich! Ich fuhr ihm über die Wangen, kam ihm ganz nahe und…… und küsste ihn. Er seufzte, nichts weltbewegendes, aber es war seine heftigste Reaktion seit Monaten. Mir schossen die Tränen in die Augen und ich drückte wie besessen auf den Knopf der Rufanlage.
Gleich mehrere Schwestern und der Stationsarzt stürmten zeitgleich mit Ruth ins Zimmer. Hastig informierte ich alle die augenblicklich mit Untersuchungen begannen. Das Zimmer füllte sich mit Pizzaduft. Der Arzt fragte nach dem möglichen Auslöser. Ich gestand den Kuss. Ruth und eine der Schwestern fielen mir direkt um den Hals. Endlich hatten wie eine Prognose, eine wirklich ausgezeichnete Prognose! Seine Mutter schmiss eine Pizzapartie, eine Schwester spendierte Saft und wir feierten. „Na dann küssen sie mal weiter!“ Sagte der Oberarzt augenzwinkernd in meine Richtung und lachte über seinen Joke am lautesten.

Ruth hielt mich am laufenden, rief sofort an als er sich wieder bewegte. Das freute mich natürlich ungemein, allerdings brach ich nach so einem Anruf regelmäßig in Tränen aus und war unfähig zu arbeiten. Am Freitag wollten wir, also Ruth und ich, Michi wieder hübsch machen! Also rasieren, Haare waschen usw. Ich konnte es fühlen! Er wir bald wieder erwachen.

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  RE: Geschieden! Datum:02.01.20 22:51 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo aschoeller,

das ist wirklich eine schöne Geschichte.

Besonders das letzte Kapitel hat mir gut gefallen.

Freundl. Gruß
Sarah
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