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Thema:
eröffnet von MISS AVALONIA am 07.02.09 22:49
letzter Beitrag von Beta_Sklave am 08.02.09 16:47

1. Flucht

geschrieben von MISS AVALONIA am 07.02.09 22:49

Für die Korekturleser,noch ein poethischer Erguss von mir.lach*


Flucht

Die Stimme verstummt,
die Augen geschlossen.
Den Käfig aufgebrochen,
aber nicht geflohen.

Das Herz am pochen,
alle Träume verloren.
Tränen vergossen,
auf den Boden gekrochen.

Gefesselt und eingesperrt,
in den Käfig der Gedanken.

Flieh.

(c)Avalonia
2. RE: Flucht

geschrieben von whipped scream am 08.02.09 11:42

Bitte schön, Dein poetischer (ohne "h") Erguß korrekturgelesen (mit Doppel-R):


Flucht

Die Stimme verstummt,
die Augen geschlossen.
Den Käfig zerbrochen, (Anm.: eventuell auch "gebrochen" - "aufgebrochen" hat gleich zwei Silben zuviel für den Rhythmus der anderen Zeilen, "zerbrochen" nur eine, vielleicht gibt es da noch eine andere Lösung. Andererseits ist die Wortendung "-brochen" sehr stark und muß erhalten bleiben - vor allem in Verbindung mit dem dann unten folgenden "Pochen" und "gekrochen").
aber nicht geflohen.

Das Herz am Pochen,
alle Träume verloren.
Tränen vergossen,
auf dem Boden gekrochen.

Gefesselt und eingesperrt,
im Käfig der Gedanken.

Flieh!




Anmerken möchte ich noch, daß ich mir des Risikos einer "Verbesserung des Inhalts" bewußt bin, eigentlich sollte sich der Korrektor nur wirklich an Fehler halten. Zum Beispiel ist zwar "eingesperrt im Käfig der Gedanken" grammatikalisch richtig, aber "in den Käfig der Gedanken" kann, zumal nach einem Beistrich, auch irgendwie sein, dadurch wird eine Richtung ausgedrückt, also eine Dynamik, ein Handeln, ein aktuelles Denken und Fühlen.

Am Zeilenende der Verse der ersten acht Zeilen kommen viele starke Worte mit "o" vor (geschlossen, aufgebrochen, geflohen, Pochen, verloren, vergossen, gekrochen), genau genommen in sieben von acht Zeilen. . Wäre es da sehr unpassend, in der vorletzten Zeile statt "eingesperrt" "verschlossen" zu wählen?

Beim abschließenden Imperativ "Flieh" ist der originale Punkt sehr "schwach" (nicht wertend, um Himmels willen, sondern im Sinne von wenig stark). Daher drängte es mich, ein Rufzeichen zu setzen. Andererseits wird die Autorin das auch verspürt haben und man muß selbstverständlich respektieren, daß es Gründe geben mag, warum sie diesen Drang unterdrückt hat.


Grad bei Gedichten ist nicht so klar, was ein Fehler und was keiner ist. Denn dem Poeten/der Poetin kann ein "falsches" Wort ganz bewußt viel besser zur beabsichtigten Stimmung passen. Schon Altmeister Goethe hat das vorexerziert, indem er Worte ziemlich willkürlich abänderte, wenn es ihm gefiel. Daher dies bitte nur als schüchterne Vorschläge werten, als Angebot einer denkmöglichen Variante, deren Ablehnung nicht nur nicht unwahrscheinlich, sondern zu erwarten ist. Bin selber kein Poet und kann die Autorin nur dazu ermuntern, ihren Standpunkt zu überprüfen.

Das Gedicht ist sehr eindringlich und schön.

whipped scream





Zitat
Für die Korekturleser,noch ein poethischer Erguss von mir.lach*


Flucht

Die Stimme verstummt,
die Augen geschlossen.
Den Käfig aufgebrochen,
aber nicht geflohen.

Das Herz am pochen,
alle Träume verloren.
Tränen vergossen,
auf den Boden gekrochen.

Gefesselt und eingesperrt,
in den Käfig der Gedanken.

Flieh.

(c)Avalonia
3. RE: Flucht

geschrieben von Nachtigall am 08.02.09 12:29

Mit diesen Versen kann man sich schon beschäftigen, Du hast ein gutes Gefühl für Worte und ihren Fluss, Avalonia!

Zitat
Grad bei Gedichten ist nicht so klar, was ein Fehler und was keiner ist. Denn dem Poeten/der Poetin kann ein \"falsches\" Wort ganz bewußt viel besser zur beabsichtigten Stimmung passen.
Bei Prosa ist das auch nicht viel besser, deswegen sind so viele begeisterte Leser über Verfilmungen enttäuscht, die ja immer nur einen Ausschnitt, eine Interpretation darstellen können. Ein gutes Buch (und genau so ein gutes Gedicht) lässt eben in dieser Frage Spielraum, das macht sie ja so spannend.

@ whipped scream:
Mir gefällt, wie Du an die Zeilen heran gehst - und noch mehr, wie Du die Veränderungen begründest. Das macht mir Lust, mit zu diskutieren.

Das Wort "aufgebrochen", das Dir den Fluss gestört hat, macht Zeile drei um eine Silbe länger als die davor. Gleichzeitig wirkt es aktiver als das vorgeschlagene "zerbrochen" und setzt die Tendenz von Zeile eins auf zwei fort, die unterscheiden sich in der Länge nämlich auch um eine Silbe. Mit der Original-Wortwahl wird die Dynamik in Zeile vier gestoppt. Mich stört da eher das "aber" .

Im zweiten Absatz bin ich nicht sicher, ob Avalonia einen Grammatik-Fehler drin hat oder inhaltlich etwas anderes meint, als Du verstehst. "Auf den Boden" außerhalb des Käfigs kann man schon kriechen, nachdem man sein Gefängnis gesprengt hat... "auf dem" oder kurz "am" Boden kriechen ist noch ein bisschen was anderes.

Im dritten Absatz finde ich den Bruch mit den "starken o-Worten" gerade gut. Schließlich wird hier der eigentliche Käfig in den Blick gerückt, die Dynamik des Fluchtimpulses ist vorbei. Das ließe sich noch steigern durch die Dopplung "gefangen" anstatt "eingesperrt", obwohl letzteres wirklich buchstäblich schön "sperrig" ist...

Der originale Punkt wirkt souveräner als das dynamischere, aufgeregtere Ausrufezeichen. Ich finde, er bringt als Untertext hinein "machst du ja doch nicht "...


@ Avalonia:
Ich hoffe, Du hast Spaß dran... ich kenne einen Kunstmaler, der sich immer göttlich darüber amüsiert, was die Leute in seine Bilder alles hinein interpretieren.

Andererseits findet er es schön, weil das ja beweist, dass sie angerührt wurden. Und ich vermute, dass Talent u.a. bedeutet, dass man auch Botschaften "in Form bringt", deren man sich selber vorher nicht bewusst war.

Ich hätte auch eine "geglättete" Wunschfassung, die natürlich meiner Rezeption und meinem Verständnis entspricht:


Flucht

Die Stimme verstummt,
die Augen geschlossen.
Den Käfig aufgebrochen -
und nicht geflohen.

Das Herz am Pochen,
alle Träume verloren;
Tränen vergossen,
am Boden gekrochen.

Gefesselt und gefangen
im Käfig der Gedanken.

Flieh.

(c)Avalonia


Liebe Grüße

Nachtigall
4. RE: Flucht

geschrieben von Walhalla am 08.02.09 13:54

Hallo Miss Avalonia,

also, ich muss schon sagen, Deine Dichtkunst gefällt mir sehr. Da wird eine Saite in mir gezupft und vibriert noch eine ganze Weile auf wundersame Weise nach.
An der fleißigen Korrekturleserei möchte ich mich jetzt nicht beteiligen. Mir gefiel jedoch diese vorsichtige Art des Korrekturlesens. Solche Korrekturleser könnte ich auch brauchen, wenn ich meine ersten literarischen Bemühungen starte.

Viel Freude beim weiteren Dichten!

Walhalla
5. RE: Flucht

geschrieben von MISS AVALONIA am 08.02.09 15:23

Danke Euch.
Ist schon interessant zu lesen,was Ihr so daraus zaubert bzw. interpretiert.g*

LG Avalonia
6. RE: Flucht

geschrieben von Beta_Sklave am 08.02.09 16:47

Es ist erfrischend. ihre Kompositionen zu lesen, Miss Avalonia.Auch wenn ich nicht auf jede schreiben kann und werde, so werd ich doch gespannt jede lesen.

Schönheit liegt in jedem Lächeln....
und in ihren Gedichten sehe ich ein Lächeln....

Mit freundlichen Grüßen
.


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